Biomorphes Design endo-chirurgischer Nadelhalter basierend auf der Brandenburger Roten Waldameise (formica rufa)

Biomorphes Design endo-chirurgischer Nadelhalter basierend auf der Brandenburger Roten Waldameise (formica rufa)

Aufgabenstellung der Studie

Aufgabe der Vorstudie war die Beobachtung und Gewinnung  von geschützten Versuchstieren (Rote Liste) sowie die tierschutzmäßig und biologisch fachlich korrekte Einbindung in eine Strukturaufklärung mit dem Ziel des tieferen Verständnisses des Ameisengreifmechanismus für lange, dünne Gegenstände wie eine Douglasiennadel.

Diese Nadel soll als Modell dienen für eine neu zu erstellende Haltevorrichtung in einem chirurgischen (Endo) – Nadelhalter, mit dem es heute noch gerade in schwierigen OP Situationen (z.B. tief im Becken, im Hiatus Oesophageii) zum Rausdrehen der Nadel kommen kann.

Bericht zur Methode

  • Zunächst Beantragung und Erhalt einer Fanggenehmigung bei Umweltministerium Brandenburg in Potsdam
  • Dann Makro-Filmaufnahmen zusammen dem von der Uni Kiel (Prof. Urs Wyss) benannten professionellen Tierfilmer J. Hinz vor Ort im Havelland bzw. dann an der FH Forst in Eberswalde. Hierzu u.a. Gerüstbau vor Ort (z.B. Abb1).
  • Verbringung gefangener Ameisen an das phyletische Insitut der Uni Jena. Dort erste Präparation, dann Herstellung von mikrotomographischen Schnitten (high-resolution Insekten CT‘ s, Abb. 2) der Ameisenköpfe unter spezieller Fokussierung auf die Kiefer in Hamburg (DESY) bzw. an der Uni Greifswald (Nadelhalter).
  • Renderung“ dieser Datensätze (d.h. händische Markierung einzelner, durch den Stapel an Bild-Schichten gehender Strukturen) durch den über Projektmittel (OHH-S) beschäftigten Diplombiologen David Neubert (Abb.2): Ein CT Scan besteht aus einem Stapel von Schwarz-Weiß-Bildern, die einzelne Schnittebenen durch die Probe darstellen. Um daraus ein 3D-Objekt zu erstellen, muss in jedem dieser Schnitte die jeweilige Struktur zunächst markiert oder segmentiert werden.
  • Dreidimensionale Rekonstruktion der Kiefer und der Schädelelemente mittels 3 D Software durch unseren studentischen Projektmitarbeiter c.m. Ole Höpfner: Für eine einfache Darstellung werden die Grauwerte in Form einer Grauwertwolke (Volumerender) visualisiert. Für finite Elemente Analyse werden allerdings Oberflächen (Surfacerender) des einzelnen Objektes benötigt, was wesentlich komplizierter ist. Wir erstellten diese mit den Programmen Visage Image Amira 5.3 , VG Studio Max 2.0 und Rhino. Die erzeugten Oberflächen besitzen meist Fehler und Unregelmäßigkeiten durch Schmutz, Lufteinschlüsse oder andere Artefakte die aufnahmebedingt sind, welche zu Fehlern in der Darstellung führen. Durch gezielte Glättung, mathematische Vereinfachungen und Neuverteilung der formgebenden Dreiecke (Polygone) erzeugten wir fehlerfreie, glatte Strukturen. Diese Strukturen, auch Mesh genannt, bilden die Grundlage für die finite Elemente Analyse. Diese virtuellen Modelle bilden nicht nur die Grundlagen für weitere Simulationen sondern erlauben auch Einblicke in die mechanische Grundlage des Objektes, z.B. den inneren Aufbau des Nadelhalters (Abb. 3).
  • Animation der Modelle
    Um die Bewegung der einzelnen Elemente zu verstehen, war deren Animation notwendig. Dazu werden die jeweiligen Teile in ihrer exakten anatomischen Position virtuell bewegt. Dies geschah in enger Abstimmung mit den Videoaufnahmen. Im Gegensatz zu diesen erlauben die virtuellen Modelle es auch verdeckte Teile wie die Ansatzflächen der Kiefer oder die Muskeln zu sehen. Diese detaillierten Modelle geben Aufschluss über die Bewegungsabläufe der Kiefer inklusive deren Verschiebung, Ausrichtung zueinander und Interaktionen.
  • Winkel und Strecken (Abb. 4)
    Um die Objekte zu simulieren und die Belastungen zu messen sind präzisen Angaben von Ausrichtungen, Winkel und Strecken der zu untersuchenden Objekte essentiell. Diese Werte wurden mittels Rasterelektronenmikroskopie (REM), digitaler Mikroskopie sowie der virtuellen Simulationen ermittelt.
  • Ausdruck eines Acetat 3 D Modells durch das mathematische Institut der TU-Berlin Dipl. Ing Jerichow, 3 D Labor (Finanzierung aus Mitteln der OHH-Stiftung)
  • Bestimmung der Dislokationskräfte für Nadeln in auf der Grundlage der 3 D Daten simulierten Ameisenkiefern sowie simulierten Endo-Nadelhaltern (Abb. 8) zweier gängiger deutscher Hersteller (Fa. Aesculap und Fa. Wolff) durch unseren Verbundpartner Dipl. Ing. Felix Viebahn, Institut für Maschinenbau Universität Bayreuth vermittels von
  • Finite Elemente Analysen (Abb. 7)
    Diese Analysen erlauben die Simulation von Belastungen und Bewegungen in Strukturen. Dazu müssen die involvierten Kräfte, Winkel und Materialeigenschaftenbekannt sein. Der wichtigste und aufwendigste Punkt sind allerdings detaillierte 3-dimensionale Modelle, die als Grundlagen dienen (siehe oben). Für den hier vorliegenden Fall simulieren wir, wie fest die Insektenkiefer bzw. der Nadelhalter die Operationsnadel festhalten kann bzw. wieviel Kraft notwendig ist, um die Nadel im Kiefer bzw. Halter zu drehen. Normalerweise kommt bei solchen Simulationen nur 1 Objekt zum Einsatz (z.B. wie deformiert sich das Auto wenn eine Kraft aus es einwirkt). In unserem Fall interagieren jedoch 3 unabhängige Teile (zwei Kiefer und eine Nadel), was die Simulationen extrem komplex macht. Abb. 7 zeigt erste Resultate wieviel Belastung auf die Kiefer wirkt. Zusätzlich wurden chirurgische Nadeln simuliert.
  • Derzeit, 10/2017 Formulierung und Berechnung von Vorschlägen für modifizierte Nadelhaltermechanismen auf der Basis der aus der Ameisengeometrie gewonnen Erkenntnisse.

Ergebnis der Studie

  • Es entstanden zahlreiche Mikrofilme, teilweise in Zeitlupe, um den Greifvorgang abzubilden. Hierbei wurden Innovative Bildlösungen wie Aufnahmen von unten bzw. bei Einzementierten Versuchstieren (damit der Fokus im um – Bereich scharf bleibt) entwickelt (Abb 1.).
  • Die Ameise wurde am Deutschen Elektronen Synchrotron (DESY) in Hamburg gescannt. Dieser Teilchenbeschleuniger erzeugt Synchrotron Strahlung, die der Röntgenstrahlung sehr ähnlich ist. Diese wird auf eine bestimmte Intensität fokussiert und durchleuchtet die Probe. Der Nadelhalter wurde nicht mit einem Teilchenbeschleuniger, sondern mit einem Tischgerät an der Universität Greifswald durchgeführt. Da es sich um eine Probe aus massiven Stahl und sehr hoher Dichte handelt, erzielte dieses Gerät sehr gute Resultate. Die Auflösung der einzelnen Scans lag zwischen 3 und 6 µm je Voxel. Diese Scans stellen exakte 3-dimensionale Abbilder der originalen Strukturen da, in denen alle Abstände, Winkel und Materialstärken exakt stimmen.
  • Segmentierung der Objekte (Abb. 2): Um beispielweise die Kiefer der Ameise zu bekommen, mussten diese auf jedem Schnitt des Scans des Ameisenkopfes markiert werden (Abb. 2). Für die hier relevante Fragestellung wurde diese sehr zeitaufwendige Prozedur für beide Kiefer, die dazugehörigen Muskeln sowie die Kopfkapsel einzeln durchgeführt. Bei dem Nadelhalter waren es die beiden Schenkel sowie der bewegliche Bolzen.Im Falle der Ameise (Abb. 4) beträgt z.B. der Winkel der Mandibel zur Kopfkapsel 135° und jeder Kiefer kann um 70° geöffnet werden. Wichtige Strecken wurden dargestellt. Die Verhältnisse dieser Strecken zueinander geben an, wieviel % der erzeugten Muskelkraft wirklich auf der Spitze der Kiefer ankommen bzw. wie schnell sich die Kiefer bewegen. Beides sind wichtige Kennwerte sowohl für einen Kiefer als auch für das chirurgische Instrument.
    Jeder der beiden von seitlich kommenden Ameisenkiefer ist in zwei Gelenken gelagert, wobei die Gelenkachse von mittig unten nach seitlich oben läuft, woraus sich eine angedeutet türflügelartige Öffnung ergibt, die sich deutlich vom konventionellen Nadelhalter unterscheidet.
    U.a. kommt es beim Ziehen an einem Gegenstand im Bereich der Kiefer zu einer Selbsthemmung, die aber aufgrund bislang noch nicht zu klärender Mechanismen auch in der Vorwärtsbewegung der Ameise bestehen bleibt.
  • Oberflächenanalysen
    Die Oberfläche und deren Struktur spielt eine wichtige Rolle beim Greifen. Daher führten wir elektronenmikroskopische Untersuchungen zur Struktur der Ameisenkiefer sowie der Douglasien Nadeln durch (Abb. 4, 5). Diese ergaben, dass die Oberfläche der Zähne auf den Ameisenkiefern auch bei hohen Vergrößerungen absolut glatt ist, während die Nadeln eine feine Maserung von etwa 20µm Breite besitzen.
  • Errechnete Rausdrehkräfte einer Modellnadel vs. Rausdrehversuche: Beide Kräfte lagen für einen Modell-Nadelhalter mit glatten Backen bei 8 Nm.

Projektverantwortliche/r

Dr. Dr. Carsten Engelmann, Klinikum Brandenburg, MHB
Dr. Benjamin Wipfler, Phyletisches Museum, Universität Jena
Dipl. Ing. Felix Viehbahn, Maschinenbau, Universität Bayreuth

 


Publikationen:

  1. Masterarbeit Herrn Patrick Zahn, Lehrstuhl für Konstruktionslehre und CAD, Universität Bayreuth „Modellierungsansätze auf Basis der Finite-Elemente-Analyse zur Berechnung der Haltekräfte von laparoskopischen Nadelhaltern im chirurgischen Einsatz mittels ANSYS. PDF-Download
  2. Masterarbeit zur Neukonstruktion aktuell in Arbeit
  3. eine Publikation in einem med. Journal soll nach Abschluss beider Arbeiten als Synthese mit den biologischen Ergebnissen und den Erfahrungen aus Herstellung eines Metall-Prototyps erfolgen. Abeitsstand: Abb.4